Nicht perfekt, aber ungemein befriedigend

— feeling big smile
The High Lord - Trudi Canavan

Wie viele Autor_innen entwickelte Trudi Canavan früh den Wunsch, Geschichten zu erzählen. Als sie in der Grundschule war, hätte sie allerdings beinahe den Mut verloren. Sie langweilte sich während der Geschichtsstunde der Schulbibliothekarin und beschwerte sich. Diese fragte, ob sie an ihrer Stelle erzählen wolle. Die kleine Trudi nutzte ihre Chance und spann eine Variante von „Die kleine Meerjungfrau“, an deren Ende der Prinz starb. Das gefiel ihrem jungen Publikum gar nicht und sie erfuhr erstmals, wie Fans reagieren, wenn man ihre Lieblingsfigur tötet. Heutzutage begeht Canavan solche Kardinalsfehler natürlich nicht mehr, doch das heißt nicht, dass das Finale ihrer „The Black Magician Trilogy“, „The High Lord“, ganz ohne Verluste auskäme.

 

Gildenmeister Akkarin hat Sonea in der Hand. Sie hasst den mächtigen Magier, der offiziell als ihr Mentor auftritt und dessen dunkles Geheimnis schwer auf ihrem Gewissen lastet. Doch dann beginnt Akkarin, sein Protegé zu ermutigen, Bücher seiner privaten Bibliothek zu lesen. Verbotene Bücher, die ein völlig neues Licht auf die Geschichte der Magier-Gilde werfen. Sonea findet heraus, dass die Praktiken, die heute als schwarze Magie geächtet sind, einst offen gelehrt wurden – bis eine schreckliche Katastrophe die Gilde überzeugte, diese unter Strafe zu stellen. Akkarin eröffnet Sonea, dass die Mordfälle, die Imardin in Angst und Schrecken versetzen, die Spitze eines uralten Konflikts zwischen der Gilde und den verbannten Magier_innen Sachakas sind, die noch immer nach Rache dürsten. Er behauptet, er allein könne einen Angriff der sogenannten Ichari verhindern und bringt Sonea in eine verzwickte Lage. Entweder, sie vertraut Akkarin und riskiert, für düstere Absichten benutzt zu werden oder sie setzt die Zukunft der Gilde aufs Spiel, indem sie ihn verrät. Wie wird sie sich entscheiden?

 

Manchmal erscheine ich in meinen Rezensionen vermutlich ziemlich streng. Ich kritisiere und mäkele herum, warte mit Verbesserungsvorschlägen auf und finde zielsicher Schwachstellen. Mir ist klar, dass ich dadurch vielleicht übertrieben anspruchsvoll wirke, als wäre kein Buch jemals gut genug. Tatsächlich ist das nicht wahr. Eigentlich möchte ich einfach nur zufrieden aus einer Lektüre rausgehen. Macht mich ein Buch glücklich, kann ich Mängel verzeihen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Trudi Canavan das verstanden hat. „The High Lord“ ist nicht perfekt und etwas langatmig, aber ungemein befriedigend. Ich halte es für ein angenehm rundes Finale, das sowohl inhaltlich als auch emotional erneut mit vielen unerwarteten Wendungen überrascht und die meisten offenen Fragen klärt. Im letzten Band „The Novice“ habe ich mich darüber gewundert, dass die Grenze zu schwarzer Magie nicht eindeutig definiert zu sein scheint. „The High Lord“ räumt mit dieser vertretbaren Fehleinschätzung auf und konzentriert die Handlung auf den ältesten Konflikt der Welt: Gut gegen Böse. Wer allerdings glaubt, die Leser_innen bekämen es mit einer eindimensionalen Einteilung zu tun, irrt gewaltig. Obwohl die Rolle der Antagonisten unmissverständlich von den Ichari, den verbannten Magier_innen aus Sachaka, erfüllt wird, ist die Situation speziell für Sonea mit zahlreichen moralischen Stolpersteinen gespickt. Schwarze Magie ist in diesem Universum kein Teufelspakt, kein Direktflug in die Verdammnis. Es handelt sich lediglich um eine spezifische Praxis, die negatives Potential besitzt, per se allerdings nicht böse ist. Es ernüchterte mich, wie schmal das Spektrum schwarzer Magie daher ist, was auch das Repertoire der Ichari stark einschränkt. Sie stellen nur deshalb eine ernsthafte Bedrohung für die Gilde dar, weil sie skrupellos genug sind, diese Spielart als Waffe zu missbrauchen, während die Gilde an ihren selbst auferlegten Vorschriften scheitert. Ich mochte, dass Trudi Canavan die Gilde als fehlbare Institution charakterisiert, diese niemals glorifiziert und mir folglich erlaubte, ihre Methoden zu hinterfragen und mich mit Soneas Gewissenskonflikt zu identifizieren. Die Novizin muss entscheiden, ob der Schutz ihrer Lehreinrichtung und ihres Landes Kyralia eine drastische Regelübertretung rechtfertigt. Unterstützung erhält sie dabei von einem alten Bekannten: Cery. Ich freute mich sehr über das Wiedersehen mit dem jungen, gewitzten Gangster, der es in der Organisation der Diebe weit brachte und mir nun deutlich reifer erschien. Für mich fungierte er als willkommenes Gegengewicht zu Akkarin, an dessen distanzierter, kühler Art ich mir die Zähne ausbiss. Wenngleich mich die Offenbarung seiner Vergangenheit berührte, konnte ich keine Verbindung zu ihm aufbauen. Mir war Cery bedeutend lieber, außerdem kehrt Sonea seinetwegen noch einmal in die labyrinthischen Tunnel unter Imardin zurück – ein hübsches Detail, das harmonischen Einklang zwischen Beginn und Ende der „Black Magician Trilogy“ herstellt.

 

Anlässlich meiner Lektüre der „Black Magician Trilogy“ erzählten mir viele Leser_innen, wie sehr sie diesen Dreiteiler lieben. Besonders die weibliche Fraktion teilte ihre Erinnerungen an schöne Lesestunden in jüngeren Jahren mit mir. Nachdem ich die Trilogie mit „The High Lord“ beendet habe, kann ich diese positiven Eindrücke mühelos nachvollziehen. Soneas Geschichte ist entschieden feminine High Fantasy, die sanfte Spannung erzeugt, jede Menge Herz besitzt und mit einer starken Protagonistin aufwartet, ohne langweilig oder weichgespült zu wirken. Mir gefiel Trudi Canavans milde Herangehensweise, die die Magie ihres Universums konkurrenzlos in den Mittelpunkt stellt, sehr gut. Ich fühlte mich in Kyralia und den angrenzenden Nationen äußerst wohl und freue mich darauf, mit der „Traitor Spy Trilogy“ in diese Welt zurückzukehren. Das Kapitel Sachaka ist noch nicht abgeschlossen und bietet tonnenweise Entwicklungspotential. Schließlich endet der Kampf für das Gute niemals.

Quelle: http://wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/09/trudi-canavan-the-high-lord