Zwei Geister, eine Hochzeit und ein Todesfall
Yangsze Choo ist in meinem Bücherregal eine Exotin, weil sie aus Malaysia stammt. Ich besitze nicht viele Bücher asiatischer Autor_innen und als Abkömmling einer malaysischen Familie chinesischer Vorfahren in vierter Generation ist sie ein echtes Unikat. Choo lebte als Kind in vielen Ländern, graduierte in Harvard und ließ sich mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kalifornien nieder. „The Ghost Bride“ ist ihr erster und bisher einziger Roman, den ich kaufte, weil mich neben dem Klappentext auch die Aussicht auf einen Einblick in die Kultur des kolonialen Malaysia lockte.
Der Glaube an das Jenseits ist in der malaysischen Kultur des späten 19. Jahrhunderts fest verankert. Die 17-jährige Li Lan ehrte die Vorfahren stets angemessen. Sie verbrannte Bestattungsopfer. Doch einen Geist zu heiraten – das geht zu weit. Obwohl das ungewöhnliche Angebot der wohlhabenden Familie Lim die gravierenden Geldsorgen ihres Vaters beenden würde, möchte Li Lan keinesfalls die Ehefrau ihres überraschend verstorbenen Sohnes Tian Ching werden. Leider akzeptieren die Lims ein Nein nicht. Li Lan wird von seltsamen Träumen heimgesucht, die die Grenzen zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten verwischen. Nacht für Nacht erscheint ihr Tian Ching. Sein Werben wird jedes Mal nachdrücklicher, bis sie eines Morgens nicht mehr aufwacht. Plötzlich selbst ein Geist muss Li Lan im Jenseits einen Weg finden, die zerrissenen Bande zwischen ihrer Seele und ihrem Körper wiederherzustellen. Ihre einzige Chance besteht darin, die rätselhaften Umstände von Tian Chings Tod und die Geheimnisse der Familie Lim aufzudecken, bevor es zu spät ist und sie auf ewig in der Geisterwelt gefangen bleibt.
Stellte sich euch während des Lesens der Inhaltsangabe zufällig die Frage, inwiefern Li Lans Zustand als Geist mit der Familie Lim verknüpft ist? Dummerweise kann ich euch den Zusammenhang nicht erklären, weil es meiner Meinung nach keinen Zusammenhang gibt. „The Ghost Bride“ erzählt gefühlt zwei Geschichten, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Yangsze Choo bemühte sich, Verbindungen vorzugaukeln, die nicht existieren. Bildlich gesprochen ist dieses Buch ein Weg, der sich vor einem dichten Waldstück gabelt. Ein Trampelpfad führt links am Wald vorbei, zu Li Lans unfreiwilliger Abspaltung ihrer Seele von ihrem Körper, der andere rechts, zu den Geheimnissen der Familie Lim und Tian Chings mysteriösem Tod. Statt sich für einen Pfad zu entscheiden, beschritt Choo beide. Sie wollte sowohl eine Geister- als auch eine Kriminalgeschichte schreiben, stellte sich dabei allerdings bedauernswert ungeschickt an. Es ergibt keinen Sinn, dass Li Lan im Jenseits in der schmutzigen Wäsche der Lims wühlt, weil ihr ihre schmalen Erkenntnisse überhaupt nicht helfen, sich wieder mit ihrem Körper zu verbinden. Tragischerweise hätte Choo diesen Stolperstein durch eine simple Verschiebung von Li Lans Motivation beseitigen können. Hätte Li Lan die Geisterwelt freiwillig aufgesucht, um den übergriffigen Tian Ching loszuwerden, hätte Choo beide Trampelpfade problemlos logisch miteinander verbinden und dem einen oder anderen Stirnrunzeln vorbeugen können. Leider fehlt ihr offenbar grundsätzlich das Gespür für inhaltliche Kohärenz, denn „The Ghost Bride“ fällt wiederholt durch kleinere wie größere Inkonsistenzen auf, die sich in meinem Fall negativ auf den Lesefluss auswirkten. Ich stutze immer wieder über Passagen, die nicht mit meinem bisherigen Wissensstand vereinbar waren. Beispielsweise sorgt sich Li Lan ständig um die finanzielle Situation ihres Vaters, beschließt aber später, ihn zu bitten, ihr ein Pferd zu kaufen. Entweder ist die Lage weniger prekär, als Choo darstellte oder Li Lan ist weit egoistischer, als ich sie eingeschätzt hatte. Die 17-Jährige ist keine unsympathische Protagonistin. Sie ist unscheinbar. Obwohl der kulturelle Mehrwert dieses Romans marginal ist und ich weder viel über Malaysia im 19. Jahrhundert, noch über die komplizierten lokalen Totenbräuche lernte, ist es im historischen Kontext sicherlich korrekt, dass Li Lan eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt. Trotz dessen hätte mir ein wenig mehr Persönlichkeit geholfen, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Ich behalte sie als den größten Tollpatsch der Literaturgeschichte in Erinnerung. Betritt Li Lan eine Szene, geht alles schief, was nur schiefgehen kann. Versteckt sie sich hinter einem Paravent, kann man sicher sein, dass sie diesen versehentlich mit viel Getöse umschubst. Sie ist das Gegenteil von Anmut, was mir auf Dauer ziemlich auf die Nerven ging. Ebenso anstrengend fand ich das erzwungene, wenig überzeugende Liebesdreieck und ihre zwanghafte Fixierung auf eine mögliche Hochzeit. Mir ist klar, dass malaysische Mädchen zu dieser Zeit selten höhere Ambitionen verfolgten, aber meiner Ansicht nach hat Li Lan weit drängendere Probleme als die Auswahl eines Ehemannes. Reicht es nicht, dass sie verhindern muss, die Gattin eines toten Widerlings zu werden?
„The Ghost Bride“ ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein einziges unmotiviertes Detail ein ganzes Buch ad absurdum führen kann. Die Kausalkette der Geschichte ist instabil. Diese Instabilität wirkt sich auf alle folgenden Ereignisse aus, sodass das gesamte Konstrukt krängt und schlingert. Ich möchte nicht behaupten, dass „The Ghost Bride“ ein guter Roman geworden wäre, hätte Yangsze Choo ihre Protagonistin die Geisterwelt freiwillig besuchen lassen, aber alle weiteren Mängel wären definitiv weniger ins Gewicht gefallen. Außerdem ist es einfach schade, dass sie die Chance versäumte, ihren Leser_innen die faszinierende Kultur ihrer malaysischen Vorfahren näherzubringen. Ich fand die Lektüre enttäuschend und meist stinklangweilig, weil das Buch neben Li Lans Drama kaum Substanz aufweist, trotz des erkennbaren Potentials. Man kann nur hoffen, dass sie nie auf die Idee kommt, eine unnötige Fortsetzung zu schreiben.