Dieses Buch hat Eier

— feeling bloody
The Steel Remains - Richard K. Morgan

„The Steel Remains“ ist ein Buch, das bei mir einen Anfall akuter, inbrünstiger Gier auslöste. Cover und Titel hätten mich fast sabbern lassen. Ich wollte es unbedingt haben, sodass im Klappentext wohl auch der letzte Quatsch hätte stehen können, ich hätte es trotzdem gekauft. Der Autor Richard K. Morgan war mir bis dahin völlig unbekannt, was daran liegt, dass er seine Karriere mit Science-Fiction Romanen begann. Seine erste Veröffentlichung „Altered Carbon“ gewann 2003 den Philip K. Dick Award; das Buch wird nun von Netflix als Serie verfilmt.
„The Steel Remains“ ist Morgans erster Ausflug in die High Fantasy sowie der Auftakt seiner Trilogie „A Land Fit for Heroes“.

 

Ringil Eskiath ist ein Kriegsheld. Sein Heldenstatus brachte ihm zweifelhaften Ruhm, der es ihm erlaubt, seinen Lebensunterhalt mit fast vergessenen Kriegsgeschichten zu verdienen, weit entfernt von seiner adligen Familie. Bis seine Mutter ihn besucht und ihn um einen Gefallen bittet. Seine Cousine wurde in die Sklaverei verkauft. Obwohl der Menschenhandel mit dem Ende des Krieges legalisiert wurde, soll Gil sie ausfindig machen und zurück in den Schoß der Familie bringen. Gil zögert, denn er weiß, dass er sich alten Sünden stellen muss, sollte er den Auftrag annehmen. Doch er kann der Verlockung nicht widerstehen, Trelayne, die Stadt seiner Jugend, wiederzusehen. Er beginnt seine Nachforschungen. Schnell zeigt sich, dass hinter dem Verkauf weit mehr steckt, als er erwartet hatte. Geflüsterte Gerüchte ziehen durch Trelayne, von Magie und der Rückkehr des Volkes der Dwenda, das für seine Grausamkeit noch immer gefürchtet wird. Eine Prophezeiung sagt die Auferstehung eines dunklen Lords voraus. Seite an Seite mit zwei alten Kampfgefährten wagt sich Gil auf einen finsteren, blutigen Weg, an dessen Ende die Zerstörung der Welt stehen könnte.

 

„The Steel Remains“ ist ein hartes, strenges Buch mit einer überzeugenden No-Bullshit-Attitüde. Richard K. Morgan macht keine Späße. Obwohl ich Leichtigkeit in einer Lektüre sonst sehr zu schätzen weiß, gefiel mir die Ernsthaftigkeit dieses Trilogieauftaktes äußerst gut. Ich mochte die Anspannung, die die Geschichte vermittelt, das Gefühl brodelnder Konflikte, die Feindseligkeit der Atmosphäre. Das Lesen war eine Herausforderung, nicht nur aufgrund des komplizierten, intelligenten Weltendesigns oder des anspruchsvollen Schreibstils, sondern auch aufgrund der Düsternis, die das Buch verströmt. Es ist kein Wohlfühlbuch, das die Leser_innen zum Lächeln bringt. Es ist grimmig und unbequem.
Die Ausgangssituation ist Gils Suche nach seiner verkauften Cousine – der Auslöser für eine viel größere, bedeutendere Geschichte. Zwar verfolgt Richard K. Morgan diesen Handlungsstrang konsequent bis zuletzt, doch ich empfand diesen eher als (nicht ganz so sanfte) Heranführung an den tatsächlichen Hauptkonflikt, der lange im Verborgenen bleibt: die Konfrontation mit den Dwenda. Trotz dessen entwickelt sich die Handlung weder zäh noch langsam, da das Weltendesign eine umfangreiche Einführung rechtfertigt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das Gefühl hatte, begriffen zu haben, wie die Welt aufgebaut ist, durch die ich mich bewegte, denn Geschichte und politische Situation selbiger müssen sich die Leser_innen anhand diverser Andeutungen und kurzer Erklärungen selbst erschließen. Angesichts der vielen Parallelen zu unserer Realität auf sozialer, politischer und religiöser Ebene erschien mir diese Aufgabe jedoch durchaus zumutbar; ich finde, Autor_innen können definitiv erwarten, dass man ein wenig mitdenkt. Richard K. Morgen belohnt den gedanklichen Aufwand seiner Leser_innen darüber hinaus mit vielen originellen Ideen abseits der gängigen Klischees und hochinteressanten, komplexen Charakteren. Es hat mich überrascht, dass die drei Hauptfiguren erst spät aufeinandertreffen, kann diese Entscheidung des Autors allerdings voll und ganz nachvollziehen. Es war wichtig, die drei erst einmal getrennt voneinander kennenzulernen, weil sie facettenreiche Persönlichkeiten sind, die jeweils auf eine eigene, reiche, belebte Vergangenheit zurückblicken. Es gefiel mir, zuerst ein Gefühl für Gil, Egar und Archeth zu entwickeln, bevor ich mich mit ihrer Beziehung zueinander beschäftigen musste. Außerdem gab es mir die Zeit, Gils massiver Entwicklung zu folgen. Er ist zu Beginn der Geschichte ein anderer Mann als am Ende des Buches. Er wächst an seiner Aufgabe, setzt sich mit seinem Gewissen und seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit auseinander und erkennt, dass er nicht länger zusehen will, wie das Land, das er einst rettete, langsam von innen verfault. Natürlich ist Gil sowieso ein sehr einnehmender Charakter, doch dieses immense Wachstum hat mich enorm fasziniert, da es unerwartet kam. Ich hätte diesem zynischen, bitteren, verhurten Trunkenbold nie im Leben zugetraut, überhaupt auch nur ein Gewissen zu besitzen.

 

„The Steel Remains“ ist ein Buch, das eigentlich viel zu gewaltig, viel zu mächtig und überwältigend für eine Rezension ist. Es vereint Intelligenz, Brutalität, Härte und Direktheit auf eine Weise, die mich schier sprachlos machte. Es ist sehr männlich, herausfordernd und nervenaufreibend. Ich kann es einfach nicht anders ausdrücken: dieses Buch hat Eier. Trotzdem muss ich zugeben, dass mir die Lektüre schwerfiel. Ich hatte erst im letzten Drittel das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Daher kann ich für „The Steel Remains“ leider keine volle 5-Sterne-Bewertung aussprechen, obwohl mich Richard K. Morgans Werk nachhaltig beeindruckt hat.
Ich denke, selbst wenn ihr High Fantasy – Fans seid, solltet ihr wirklich Lust auf „The Steel Remains“ haben, bevor ihr mit dem Lesen beginnt. Es ist keine Zwischendurch-Lektüre, kein Lückenfüller und verlangt eure volle Aufmerksamkeit. Ihr solltet es erst aus dem Regal ziehen, wenn ihr voll und ganz da seid – sonst erwischt es euch eiskalt wie ein Schlag in die Magengrube.

Quelle: http://wortmagieblog.wordpress.com/2016/02/10/richard-k-morgan-the-steel-remains