In DIESEM Wald hätte Rotkäppchen größere Probleme als den bösen Wolf

Red - Alyxandra Harvey

„Red“ von Alyxandra Harvey bekam ich als ARC (Advanced Copy) vom Verlag Entangled Teen zur Verfügung gestellt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass meine Bewerbung berücksichtigt wird – umso glücklicher war ich, als es geklappt hat. Ich muss zugeben, dass ich eigentlich schon entschieden hatte, das Buch lesen zu wollen, bevor ich den Klappentext las. Das Cover ist einfach unwiderstehlich. Düster, geheimnisvoll und ein bisschen unheimlich. In Kombination mit dem Titel konnte ich die zarte Assoziation mit dem Märchen „Rotkäppchen“ nicht verhindern. Allerdings wäre der böse Wolf in DIESEM Wald noch Rotkäppchens geringstes Problem gewesen, das kann ich euch versichern.

 

Kia hat ihre Schule abgefackelt. Aber nicht mit Absicht, ehrlich nicht. Die Situation ist einfach eskaliert. Sie kann das nicht kontrollieren. Und selbst wenn sie die Wahrheit gesagt hätte, es hätte ihr ja sowieso niemand geglaubt. Doch ob absichtlich oder nicht, ihr Vater weiß sich nicht anders zu helfen und schickt sie fort, damit sie von nun an bei ihrer Großmutter Abby wohnt. Diese arbeitet und lebt auf dem riesigen Anwesen der Familie Blackwood. Wie sich das für ein Herrenhaus mitten im Nirgendwo gehört, gibt es hier eine ganze Menge Regeln, die Kia überholt und seltsam findet. Der Gipfel ist Ethan Blackwood: arrogant und abweisend, teilweise sogar ein wenig gruselig. Ethan hat allerdings jeden Grund, sich so zu verhalten. Er hütet Geheimnisse, die so furchteinflößend und gefährlich sind, dass er nicht riskieren kann, sich von einem hübschen Mädchen mit feuerroten Haaren den Kopf verdrehen zu lassen. Denn Ethan weiß, was im Wald des Anwesens lebt…

 

Wenn man „Red“ als „Rotkäppchen“-Adaption ansehen möchte, dann ist es maximal eine äußerst freie Interpretation des alten Märchens. Außer den Eckpfeilern haben die beiden Geschichten nicht besonders viel gemeinsam. Doch das macht überhaupt nichts – mir hat „Red“ trotzdem einigen Spaß bereitet. Die Protagonistin Kia brachte mich mit ihrer lockeren, sarkastischen Art ständig zum Lachen und Schmunzeln; sie ist wirklich witzig und nimmt sich selbst nicht zu ernst. Ihr habt es bestimmt schon erraten oder im offiziellen Klappentext gelesen: Kia kann mit ihren Gedanken Feuer entfachen. Im Laufe der Geschichte gewinnt sie zunehmend Kontrolle über diese Fähigkeit, was sie in meinen Augen zu einer wehrhaften, starken Heldin macht, die den Bösen kräftig in den Hintern treten kann. Alyxandra Harvey erlaubt ihr zwar nicht, sich so unabhängig zu verhalten, wie ich es mir gewünscht hätte, aber das ist höchstwahrscheinlich dem Genre geschuldet. Wäre Kia stets in der Lage gewesen, sich selbst zu retten, wäre Ethan schlicht überflüssig für die Geschichte geworden. Und was wäre ein YA-UF-Roman ohne den heißen, männlichen Protagonisten? Als Persönlichkeit fand ich Ethan allerdings nicht sonderlich interessant. Selbstverständlich ist seine abweisende Art nur Fassade; dahinter verbirgt sich ein netter, verantwortungsbewusster junger Mann, der von der Last seiner dunklen Geheimnisse fast erdrückt wird. Mir war diese Charakterisierung zu stereotyp, um wirklich von ihm überzeugt zu sein. Mein Herz brachte er nicht zum Schmelzen. Leider blieben auch die Nebencharaktere zu blass und flach; Kia und Ethan überstrahlen sie völlig. Das liegt zum einen daran, dass die Geschichte abwechselnd aus Kias und Ethans Perspektive geschrieben ist; zum anderen, dass sich die Nebenfiguren jeweils mit nur einer einzelnen Eigenschaft hervortun. So ist beispielsweise Ethans Vater, Holden Blackwood, durch und durch negativ dargestellt – ich hatte nie eine Chance, ihn zu mögen oder seine Motive nachzuvollziehen. Er ist nicht facettenreich, sondern einfach böse. Dass in der Realität niemand ausschließlich böse ist, muss ich euch wohl nicht sagen.
Das Setting hingegen fand ich unheimlich faszinierend. Der Wald der Blackwoods hat tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes Zähne und Klauen. An Kias Stelle wäre ich wohl geplatzt vor lauter Neugier. Sie ist da eindeutig beherrschter (zumindest anfangs), aber schlussendlich kommt auch das Mädchen mit den feuerroten Haaren vom Weg ab und verirrt sich tief im Wald. Sie wird in eine Welt hineingezogen, die seit Jahrhunderten parallel zur Normalität existiert. Schon allein das Anwesen erschien mir als surrealer Ort.

 

Insgesamt ist „Red“ ein solider Young Adult-Urban Fantasy-Roman, der mich zwar nicht großartig überraschen, aber mit einer sympathischen Protagonistin und einem besonderen Setting punkten konnte. Die Geschichte liest sich zügig und flüssig, denn Alyxandra Harveys Schreibstil ist schnörkellos und unkompliziert. Ich fühlte mich gut unterhalten und könnte mir vorstellen, weitere Werke aus Harveys Feder zu lesen. Sie schreibt sicherlich keine tiefgründigen Bücher, die den LeserInnen viel Interpretationsspielraum bieten, doch ab und zu habe ich brain candy ja ganz gern. „Red“ hat darüber hinaus ein recht offenes Ende, was eine Fortsetzung theoretisch möglich machen würde. Wer weiß, vielleicht ist Kias Geschichte noch nicht abgeschlossen.
Ihr könnt zu „Red“ greifen, wenn ihr euch nach ein wenig Ablenkung sehnt, die euch nicht viel abverlangt. Während einer Prüfungsphase, im Urlaub oder wann immer ihr das Gefühl habt, beim Lesen einfach mal den Kopf ausschalten zu wollen, ist Kias Abenteuer genau das Richtige. Aber gebt Acht, dass ihr nicht vom Weg abkommt, denn im Wald der Blackwoods lauern schlimmere Wesen als Wölfe…

Quelle: http://wortmagieblog.wordpress.com/2015/03/05/alyxandra-harvey-red